…sonst streik’ ich hier: Über die Streiks bei Bahn und Lufthansa
Es ist ärgerlich und lästig, wenn Züge nicht fahren oder Flüge gestrichen werden. In den letzten Tagen sorgten die „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ (GDL) und die „Vereinigung Cockpit“ für teils massive Behinderungen des Bahn- und Flugverkehrs. Sie hatten zu (Warn-) Streiks aufgerufen, um ihren Forderungen gegenüber der Deutschen Bahn bzw. der Lufthansa Nachdruck zu verleihen. Die GDL fordert eine bessere Entlohnung, die Reduzierung der Wochenarbeitszeit und die Anwendung ihres Tarifvertrags auf das gesamte Zugpersonal. Cockpit setzt sich unter anderem für einen neuen Tarifvertrag für alle Cockpit-Beschäftigten und die Rücknahme der Abschaffung einer Altersübergangsregelung für die Piloten ein.
Die Streiks riefen unterschiedliche Reaktionen hervor. Manch ein Fahr- oder Fluggast zeigte Verständnis für die Forderungen der Gewerkschaften. Schnell wurden aber auch kritische und zunehmend wütende Stimmen laut: Als Zugführer oder Pilot verdiene man doch schon genug. Man solle die tarifliche Auseinandersetzung nicht auf dem Rücken der Bahn- oder Flugreisenden austragen. Ein ganzes Land werde in Geiselhaft genommen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland werde nachhaltig geschädigt.
Die Deutsche Bahn ließ verlauten, die GDL laufe „Amok“, ihr Vorsitzender, Claus Weselsky, hege „Allmachtsphantasien“ und sei nur am eigenen Machtzuwachs interessiert. Die FAZ rief im Rahmen eines „Wutausbruchs“ gar dazu auf, „diesen Mann“ zu stoppen. Nicht wenige Politiker stimmten in diesen Tenor ein.
Christian P. Krohne hat auf Spreepublik durchaus Verständnis für die Forderung nach höheren Löhnen für die Lokführer. Allzu üppig seien diese in der Tat nicht. Ähnlich wie die Deutsche Bahn beschleicht aber auch Krohne das Gefühl, dass es Weselsky eigentlich nur darum gehe, die Machtsphäre seiner „Spartengewerkschaft“ auszuweiten. Die GDL wolle nicht mehr nur für die Lokführer, sondern für das gesamte Zugpersonal sprechen. Doch durch ihr rücksichtsloses Agieren – zu Streiks in der Ferienzeit aufzurufen, ohne vorher überhaupt mit der Bahn verhandelt zu haben – hätten Weselsky und die Lokführer den Bogen im Machtkampf eindeutig überspannt. Der Vertrauens- und Solidaritätsvorschuss der Bahnreisenden sei aufgebraucht und man dürfe sich nicht wundern, wenn zukünftig so manch einer auf andere Verkehrsmittel umsteigen würde.
Doch was, wenn das Umsteigen gar nicht so einfach geht? Jenny findet auf ihrem Blog, dass die Pendler im Personennahverkehr die Gelackmeierten des Streiks sind. Sie hätten kaum eine Alternative zur Bahn. Der Streik sei nicht hinzunehmen, da er die Falschen (und Wehrlosen) treffe. Und da Mobilität schließlich ein menschliches Grundbedürfnis sei, das nicht leichtfertig eingeschränkt werden dürfte, ruft Jenny dazu auf, die Mobilität „hoheitlich“ sicherzustellen.
Heinz Sauren kann einer solchen Sichtweise auf seinem Freigeist BLOG nicht viel abgewinnen. Man könne nicht das grundgesetzlich verbriefte Streikrecht für bestimmte Berufsgruppen einschränken, nur weil diese eine für viele Menschen wichtige (Dienst-) Leistung bereitstellen. Früher habe es durchaus den hoheitlichen Auftrag der Bahn gegeben, für die Mobilität der Bevölkerung zu sorgen. Dieser Auftrag sei jedoch mit der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn in den 1990er Jahren erloschen. Die Lokführer, die seitdem nicht mehr verbeamtet werden, hätten dafür das Streikrecht erworben, mit dem sie für ihre Arbeitsrechte kämpfen können. Das sei politisch gewollt gewesen und daher sei es auch falsch, die GDL dafür zu kritisieren, dass sie zu diesem Mittel greife.
Zum gleichen Schluss kommt auch André Tautenhahn auf seinem Blog Écrasez l’infâme! Nicht die GDL sei verantwortlich für die derzeitige Misere, sondern die Deutsche Bahn, die in den letzten Jahren als profitmaximierender Akteur immer weiter Personal abgebaut, die Arbeitszeiten verschlechtert und die Gehälter beschnitten hätte. Die GDL sei durch die der neoliberalen Logik folgenden Unternehmensführung der Deutschen Bahn quasi in ihre jetzige Rolle gedrängt worden.
Wenn man streikende Lokführer für die Zukunft vermeiden wolle, so sind sich Tautenhahn und Sauren einig, müsse man die Bahn wieder als öffentlichen Dienst (re-) organisieren. Dann müsste die Politik aber auch ihre vergangenen Fehler eingestehen. Doch eine Solidarisierung mit den Zielen der GDL, die Druck in diese Richtung aufbauen könnte, sei in der Öffentlichkeit nicht zu sehen – ganz im Gegenteil: Es herrsche entweder Gleichgültigkeit oder – wie in den Kommentarspalten vieler etablierter Printmedien – Unverständnis und Wut gegenüber den Streikenden.
Sebastian Müller versteht auf le Bohémien nicht, warum sich die Wut gegen die GDL und nicht gegen die neoliberale Politik des Sozial- und Lohndumpings richte, die doch für den Niedergang der Bahn verantwortlich sei und auch auf der allgemeineren Ebene zu einer fatalen Abwärtsspirale für die meisten Menschen in Europa geführt habe. Anstatt hiergegen aufzumucken und die Stimme zu erheben, würden sich viele lieber ganz kleinmütig und bereitwillig den scheinbar allmächtigen Arbeitgebern und der von ihnen propagierten selbstausbeuterischen Arbeitsmoral unterordnen.
Im Moment ruhen die Streiks der Lokführer und der Piloten, doch sowohl die GDL als auch Cockpit haben eine Fortführung des Arbeitsausstandes angekündigt, für den Fall, dass man ihren Forderungen nicht entgegenkommt. Die Zeichen stehen eher auf Eskalation. Welchem Anliegen eine solche dienlicher sein wird, bleibt abzuwarten.